Günther, Frank

Frank Günther, DER Shakespeare-Übersetzer

Wir haben ihn (leider, leider, leider) in unserer Lesung – 20. Februar 2019 für seinen Skipper-Freund Ulli Krause – nur kurz kennengelernt. (Frank Günther li., Ulli Krause re.)

Natürlich sprach ich ihn sofort nach dieser „Profi-Lesung“ an (ich hatte mich im Internet bereits kundig gemacht, und wusste welcher Gigant so bescheiden und freundlich bei uns war. Er sagte auch zu und wollte gerne für eine eigene Lesung kommen (eventuell eine Benefizveranstaltung).

Allerdings ist nichts im Leben absolut planbar oder vorhersehbar, denn „ erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“. Es kam Corona und dann das:

Kurz nach dem Besuch bei uns stolperte seine Frau – die exzellente Bühnenbildnerin und Malerin Hille (Hildtrud) Warndorf Günther – so unglücklich über einige wenige Stufen zu Hause, dass sie ins Koma fiel, dann ins Wachkoma und später verstarb (21. 05.20). Dieses Unglück versetzte Frank einen tiefen Schlag. Bei einem Freund bemerkte er, “dass er keinen Sinn mehr findet in seinem Leben”. Daraufhin wurde er schwer krank, obwohl er schon seit einiger Zeit eine Krebserkrankung mit seinen behandelnden Ärzten absolut gut im Griff hatte mit Aussicht auf Heilung.

Der geniale und gefeierte Übersetzter, der sich 40 Jahre in den Dienst Shakespeares stellte verstarb wenige Monate nach dem Tod seiner Frau mit 73 Jahren am 15. Oktober 2020 in Ulm.

Frank Günther lebte mit seiner geliebten Frau Hille in Rot an der Rot (Kreis Biberach) in einem Haus total auf dem Land, das er sich vom rudimentären ehemaligen Hof zur Heimat sorgsamst und liebevollst ausbaute. Hier hatte er die absolute Ruhe, die er brauchte,für seine komplizierte Übersetzungsarbeit.

In der Winterzeit hielten er und seine Frau sich jedoch gerne hier an der Costa Blanca auf und wohnten in Els Poblets.

1947 in Freiburg geboren, aufgewachsen in Wiesbaden, studierte er Anglistik, Germanistik und Theatergeschichte.

War dann Regieassistent in Bochum und Stuttgart und beim Experimentiertheater Open-Space in London, danach fester Regisseur in Heidelberg, Bielefeld, Basel und Wiesbaden. Zwischendurch ein einjähriger Amerika-Aufenthalt on the road.

Shakespeare zu übersetzen war nicht sein Ziel, schließlich sei er „nicht größenwahnsinnig“ sagte er, der Vorschlag kam vom Theaterverlag, für den er dramatische Texte übertrug. Darüber hinaus übersetzte er auch Stücke anderer Klassiker, und als Synchronautor schuf er außerdem für über 70 Spielfilme die deutsche Fassung.

Ab den 1970er Jahren widmete er sich der Übersetzung Shakespeares ins Deutsche.

Als Herausgeber und Kommentator leistete er zudem Beiträge zur Shakespeare-Forschung und erreichte längst auch im Bereich der Wissenschaft hohes Ansehen!

Zum 450. Geburtstag des Dramatikers legte er erstmals als Autor ein umfangreiches Werk unter dem Titel „Unser „Shakespeare“ vor.

Günther war auch Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Seinen Übersetzungen galten auch die Auszeichnungen die ihm zufielen:

2001 der Christoph-Martin-Wieland-Preis, 2006 der Übersetzerpreis der Heinrich-Maria-Ledig-Rohwolt-Stiftung. 2007/2008 hatte er die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung an der FU Berlin inne. Im Jahr 2011 verlieh ihm die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung. (Foto unten bei Preisverleihung 2011, Denis Scheck rechts neben F. Günther.)

Zur Begründung hieß es: “Das über Jahrzehnte gehaltene Niveau seiner Übertragungen aus den unterschiedlichen Gattungen und Schaffensphasen des Dramatikers ist ebenso bewundernswert wie sein sprachlicher Einfallsreichtum. Günthers Übertragungen sind eine lustvolle Polyphonie (Vielstimmigkeit) der Stile, die sich immer als lebendige Neuentdeckung Shakespeares für unsere Zeit verstehen. Was Günther vor allem auszeichnet, ist die seltene Verbindung von philologischer, theaterpraktischer und kritischer Kompetenz.”

2018 erhielt er den Kulturpreis des Landkreises Biberach. Die Liste wäre aber ohne die allerfrüheste Ehrung unvollständig. Als Zwölfjähriger siegte Frank in einem Aufsatzwettbewerb zu Donald Duck, ausgeschrieben und wohl auch begutachtet von der legendären Comic-Übersetzerin Dr. Erika Fuchs. Er durfte nach New York fahren.

Bis auf ein paar Sonette hat Frank Günther den kompletten Shakespeare in 40 Jahren neu übersetzt. Er betrachtete es als sein Lebenswerk. Zweisprachig und in zweierlei Ausstattung sind seine Übersetzungen erschienen.

Ich übersetzte nicht nur vom Englischen ins Deutsche, sondern auch vom 17. Jahrhundert in die Gegenwart“, sagte Günther. „Ich spiele in meiner Sprache nach, was mir das Original vorspielt“. Das mimetische ( nachahmende) Prinzip hat er gelebt. Vor allem sprech- und spielbar sollte sein deutscher Shakespeare sein; bis in die feinsten Nuancen tarierte er die Sprache der Figuren aus, um das vielfältige Stimmenkonzert von Shakespeares Sprachkosmos auf Deutsch entsprechend zu gestalten, und hat den natürlichen deutschen Sprachfluss mit Shakespeares Versfluss in Einklang gebracht. Noch nie ist es gelungen, dass e i n Übersetzer alles …

 

Er hat sich hineingebuddelt in die Texte, sie erschlossen mit philologischer Akribie, sie eingebettet in ihre Zeit, hat unzählige Redeweisen, angefangen von den Manierismen der Mächtigen und gezierten Liebesschwüren bis hin zum Gossenjargon, in die Wortschätze des Deutschen gehoben und sie Shakespeares Helden angepasst, hat gewitzelt und wortgespielt.

Er wurde nicht müde, die Ab- und Umwege zu verteidigen, die eine Übersetzung gehen muss, um dem Original treu zu bleiben, speziell einem uns heute so fernen, fremden Werk aus elisabethanischen Zeiten.  Und nicht nur das. Frank Günther hat jedes einzelne Stück sorgfältig in Buchform ediert, dem englischen und deutschen Text jeweils einen Bericht aus der Übersetzerwerkstatt und Kommentare hinzugefügt, dazu den Essay eines Literaturwissenschaftlers; alle , edel ausgestattet bei ars vivendi, die meisten auch textgleich im Taschenbuch bei dtv. Übrigens, noch im Krankenhaus hat Frank Günther unter starken Schmerzen daran gearbeitet.

Frank Günther wurde zuletzt vom Hartmann & Stauffacher Theaterverlag vertreten, seine Shakespeare-Übersetzungen gab in den Siebzigerjahren der Theaterverlag Ute Nyssen& Bansemer in Auftrag.

Aus dem Geist des Theaters hat Frank Günther nicht nur übersetzt. Mit Fug und Recht kann er als Erfinder der Übersetzer-Performance gelten! Dadurch trifft er den Ton, den Rhythmus, den Klang der gewaltigen Worte, und holt die Dramen näher an die Gegenwart.

Günthers Ziel war es, Shakespeare für das heutige Theater neu zu erschließen, ohne ihm die Fremdheit zu nehmen. Die Philologie blieb seine Begleiterin, die Bühne seine Richtschnur. Theater-tauglich musste sein Shakespeare sein, gut sprechbar. Das moderne Deutsch in das er ihn übertrug, war aber kein pures Gegenwartsdeutsch. Es war, wie Shakespeares Dramen selbst, ein Sprachmix, Hexentrunk, Quodlibet der rhetorischen Register.

Nie tanzt der Reim-virtuose Frank Günther selbstvergessen vor sich hin, immer bleibt er auf dem mit Hilfe der Philologie hochgespannten Textseil, und überall im deutschen Sprachraum ist es verständlich.

Der SPIEGEL schrieb: „Shakespeare auf Deutsch, so frisch wie noch nie. Frank Günther hat den Klassiker mit Witz und Kenntnis neu übersetzt. Eine kulturelle Großtat !

Und Judith von Sternburg, Feuilleton-Redakteurin der Frankfurter Rundschau schrieb in ihrem wunderbaren Nachbericht: „Frank Günther gehörte zu den wirklich Berühmten unter denen, die nie im Rampenlicht stehen. Er gab den anderen Gelegenheit, dort nicht nur gut auszusehen.

Ja, richtig, denn er übersetzte Shakespeare im Wissen, dass dieser Autor nicht für die gedruckten Seiten, sondern für Schauspieler geschrieben hat, die seine Sätze sprechen, und für ein Publikum von Zuhörern, die seine Sätze auf Anhieb verstehen sollten. Darum werden heute keine anderen Shakespeare-Übersetzungen so viel auf deutschsprachigen Bühnen gespielt wie die von Frank Günther!

Fleiß mag das Zentrum im selbstironisch abgefederten Handwerkerethos dieses Übersetzers gewesen sein. Er hatte aber ein Gegengewicht, die Sprachlust. Sie trug dazu bei, dass er, was er zu Beginn selbst nicht ahnte, am Ende den gesamten Shakespeares übersetzt hatte.

Man lese im letzten Band, dem 2017 erschienenen „Perikles, Fürst von Tyrus“, den Stoßseufzer des ratlosen Übersetzers in der Shakespeare-Folterkammer“. Dieser Stoßseufzer ist eine der schönsten Visitenkarten. Auf allen steht „Aus der Übersetzerwerkstatt“, man findet sie in jedem Einzelband, sie sind den reichen Anmerkungsteilen vorangestellt. In der Summe ergeben diese Mini-Essays ein wunderbares Shakespeare-Kompendium.

Überhaupt reflektierte er über die Jahre seine Kunst und gab sie weiter, in Seminaren (in denen er etwa Zeitungsartikel in Blankvers übertragen ließ) und in seinen Büchern.

Frank Günthers Bücher:

Unser Shakespeare“, ein sehr empfehlenswertes, facettenreiches Faszinosum mit großem Wissensgewinn. Das Buch ist überbordend informativ, spöttisch, belesen, meinungsstark und verständlich; es macht Spaß und gleichzeitig Lust, sich die Werke des englischen Nationalheiligen mal wieder vorzunehmen (natürlich von F. Günther übersetzt).

Es macht u. a. den Reiz dieses Buches aus, dass F. Günther Zunächst einmal davon ausgeht, dass uns diese Werke eben nicht automatisch zugänglich sind, da 400 Jahre zwischen uns und diesem erfolgreichen Unterhaltungsschriftsteller liegen, und demzufolge einige Hinweise hilfreich sein könnten, die als Brücke zwischen uns und Shakespeares Werken fungieren. Oder anders ausgedrückt: Wir sollten „ihre widerständige historische Fremdheit nicht übersehen“.

Taschenbuch = € 12.90 – oder als E-Book = € 7.99, unter www.dtv.de .

Wort Schätze“, ein Geschenk- und Liebhaber-band. Shakespeares “Wort Schätze” bieten viel mehr als berühmte Zitate: Erst in längeren Abschnitten erschließen sich gemeintes und die sprachliche Virtuosität des Dichters am eindrucksvollsten. Dazu gehört natürlich auch der Originaltext der parallel zur Übersetzung dargeboten wird. Taschenbuch = € 9.90 ebenfalls unter www.dtv.de .

Einige Beispiele:

Die Schlegelsche Übersetzung hat Shakespeare zum „deutschen“ Dichter gemacht, und ist ja für viele Schüler heute schon gar nicht mehr verständlich. –>

  Man kann auch beispielsweise kein „Käthchen von Heilbronn“ oder keinen „Zerbrochenen Krug“ von Kleist in der Schule mehr lesen, ohne gleichzeitig Wort-Listen mitzuliefern, damit die Schüler das Deutsch des Herrn Kleist verstehen. Ähnlich ist es natürlich mit der Sprache von Herrn Schlegel, wenn da die Rosalinde zu  ihrer Cousine Celia sagt: „Ei, du mein liebes Mühmchen“. Da dürften die meisten unter Zwanzigjährigen den Unterkiefer fallenlassen und fragen: Was hat er gesagt? Kein Mensch versteht es mehr. Diese Schlegelsche Sprache ist antiquiert.

Was Schlegel oder vor ihm schon Wieland ja tunlichst vermieden haben, waren alle Doppeldeutigkeiten im erotischen Sinne. Alles was derb war, das galt als Beiwerk des groben und primitiven Mittelalters – um “den Pöbel der Londoner Proleten lachen zu machen ” oder so ähnlich hat  Wieland (Bild li.) es ausgedrückt.

Das kann man in einer modernen Übersetzung heute natürlich versuchen, wiederzugewinnen!

Und die Engländer stehen inzwischen vor exakt dem gleichen Problem oder einem noch schlimmeren: Sie können ihren Shakespeare ja eigentlich nicht übersetzen, den größten Sprachkünstler ihrer Literaturgeschichte.  Aber Shakespeares Sprache wird für Engländer ersichtlich immer unverständlicher.

                                                Shakespeares Totenmaske   — >       

In seiner jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Giganten William Shakespeare ist Frank Günther selbst zum Giganten geworden. Was neben seinem Werk  bleibt, sind die Erinnerungen an einen    klugen,   gewitzten, charismatischen und hochgelehrten Freund, der für uns immer so viel mehr sein wird als das, was wir heute in Worte fassen können.“ Schrieb Knut Cordsen Redakteur bei BR-Kultur.

Und weiter aus seinem Interview: Das Stück, das wie kein anderes als Liebesstück Shakespeares wahrgenommen wird, ist „Romeo und Julia“. Eine „Lovestory mit Widerhaken“ hat F. Günther dieses Stück einmal in einem Bericht aus seiner Übersetzer-Werkstatt genannt: „Was nämlich gerne übersehen wird, das sind die Verbal-Ferkeleien Shakespeares, die Doppeldeutigkeiten, die derben Wortspiele“. Hier haben die Übersetzer-Vorgänger mitunter ziemlich versagt.

Ein Beispiel aus „Romeo und Julia“:  

Erinnern Sie sich an die Szene, als Romeo sich beim Fest der Capulets in Julia unsterblich verliebt hat. Sie ist sein reiner Engel, eine keusche Frau, eine Unberührbare, schwebt über allem, flieht von seinen derben Freunden weg ins Gebüsch.(Bild,  der  berühmte Balkon in Verona)

Er will allein sein mit seiner Geliebten und seine Freunde suchen und finden ihn nicht. Dann sagt der eine: “Now will he sit under a medlar tree And wish his mistress were that kind of fruit As maids call medlars when they laugh alone. O Romeo, that she were! Oh, that she were An open arse, and thou a poperin pear.”

Das versteht heute auch kaum ein Engländer mehr ohne weitere Erklärung. Hierin verstecken sich also sehr viele sehr schöne Wortspiele. Es geht eigentlich um die Mispel.

Die Mispel war aber in elisabethanischer Zeit ein Slang-Synonym für das weibliche Genital. Ein Ausdruck für etwas Derbes, Deftiges. Nun ist aber die Mispel nicht gerade etwas, wozu einem als Übersetzer im Deutschen etwas sehr Schweinisches einfällt. F. Günther habe lange drüber nachgedacht, aber es ist ihm nichts eingefallen.

Und so muss der Übersetzer etwas ausgreifen. Er habe das dann so übersetzt: “Nun sitzt er unter einem Pflaumenbaum und träumt von seinem liebsten Früchtchen und von dem, was Mädchen kichernd Pflaume nennen. Ach Romeo, wär sie ein Vogelbeerbaum doch und du ihr Specht und hacktest froh dein Loch!”

Gehört der Wortwitz, das Wortspiel für Shakespeare zur Liebe?

Frank Günther sagte: “Der Wortwitz gehört bei Shakespeare eigentlich zu fast allem. Von der ernstesten bis zur komischsten, von der feinsinnigen Gesprächssituation oder Sprachhöhe bis zum derbsten Gossengeferkel ist die Doppeldeutigkeit und das Wortspiel geradezu Handwerkszeug: das Mittel, um Wahrheit deutlich zu machen in der Vieldeutigkeit.”

Eine der profiliertesten Literaturübersetzerinnen Rosemarie Tietze schrieb in ihrem Nachruf: Seine Arbeits- und Lebensenergie schien unerschöpflich zu sein. Uns fehlt der stets hilfsbereite Kollege, der kluge und warmherzige, phantasiesprühende Mensch. Sein Lebenswerk wird Leser, Theatergänger und Übersetzer noch lange leiten und begleiten.

Ich  selbst (Natascha), werde oft an diese Ausnahmepersönlichkeit denken, und bin untröstlich und wirklich sehr betrübt, dass so ein interessantes Ehepaar so schnell, so unerwartet plötzlich von dieser Erde weggeholt wurde, und wir die Literaturfreunde, keine Gelegenheit hatten Frank Günther persönlich mehr zu erleben, und auch von seiner Kunst mehr zu erfahren, und mehr zu hören, und mehr zu sehen … nimmermehr…

In größter Hochachtung

Natascha L. Michnow

(Verschiedene Auszüge zusammengefasst aus den wunderbaren Nachrufen von

Lothar Müller Journalist/ Süddeutsche Zeitung, Literaturkritiker und Literaturwissenschaftler.

Knut Cordsen, Redakteur Bayrischer Rundfunk/Kultur.

Literaturexperte Denis Scheck, ist Übersetzer, Literaturkritiker, und Journalist im Hörfunk und Fernsehen.

Eine der profiliertesten Literaturübersetzerinnen Rosemarie Tietze in DIE ZEIT.

Judith von Sternburg, Feuilleton-Redakteurin in Frankfurter Rundschau.)