Barriere(un)freier Nachbericht

 

Carlos Wolf und seine Lesung mit Risiken und Nebenwirkungen, von einer Zuhörerin:

Carlos packte seinen Rollstuhl ein, fuhr viele Kilometer aus Aguilas im Süden der Costa Blanca, um Nataschas Einladung zu folgen.

Im Gepäck hatte er seine Gedanken und Anekdoten, um aus seinem Leben zu erzählen. Gar nicht so einfach, wenn einem die Beine seit über vierzig Jahren nicht gehorchen. Die Wirkung der Lesung war anders als erwartet. Carlos wurde, wie wunderbar eigentlich, ohne seinen Rollstuhl gesehen. Die Botschaft, sich in das Leben und die Empfindungen des weit gereisten Mannes hineinzudenken, verfehlte jedoch bei einigen Gästen ihren Weg.

Der Blickwinkel war anders eingestellt, nämlich auf den eigenen Unterhaltungswert.

Vielleicht war es verwirrend locker aus den leblosen Beinen geschüttelt, und anders als bisherige literarische Abende. Jedoch stellt sich hier die Frage: Warum wurde es teilweise kritisch gehört und nicht aus der Perspektive von Carlos betrachtet?

 

Ein Rollstuhlfahrer kann sich körperlich nicht zu seiner eigentlichen Größe aufrichten. Zudem benötigt er manchmal Hilfe. Er hat nicht nur gegen subtile Diskriminierungen und menschliche Barrieren zu kämpfen, er bekommt auch ewig blöde Fragen über Sexualität gestellt, seine Beziehungen können fragwürdig und enttäuschend sein und er schaut, wenn seine Gesprächspartner vor ihm stehen, nach Oben oder auf die Gürtellinie.

Mit diesem Empfinden hätte man seine Worte verstehen und annehmen können. Doch, statt Verständnis und Empathie war teilweise Empörung im Raum.

Vielleicht hätte Carlos Wolf etwas anderes erzählen können, aber es ist nicht so einfach, wenn man durch das Leben rollt. Einige Tropfen Einsamkeit und Unsicherheit, waren aus seinen Worten zu hören.

Warum also Empörung und nicht Empathie?

Danke, Natascha und Carlos , mir  hat der Abend viel bedeutet.

Eine Zuhörerin

 

Ein großes Dankeschön an die Zuhörerin.

Und hier meine (Nataschas) Meinung dazu:

Für mich war es eine große Freude, dass ich einem interessanten Menschen (siehe unter  Wolf Carlos,  Künstlerportraits, seine Biografie) im Rollstuhl eine Bühne geben konnte. Keiner macht das sonst hier an der Costa! Genau so wie die Vielfalt meiner Themen und Autoren, die ich regelmäßig präsentiere. Es ist nicht leicht immer wieder neue Autoren, Dichter und Künstler mit einer gewissen Professionalität zu finden und herzuholen. Ich habe übrigens niemals von anderen Veranstaltern eine Person einfach übernommen…

Aber es kann auch einmal etwas nicht so perfekt klappen, wie es schließlich über 73 x bestens funktionierte. Wobei ich meine es hätte schon alles gut sein können, wenn, ja wenn nicht einige Personen im Publikum eine ziemlich ironische Persiflage über die vielen nächtlichen Sexwerbungen im Fernsehen und auch im Web, nicht erkennen konnten oder wollten. Schade!  (Ganz unten steht die Erklärung von Persiflage.)

Eigentlich dachten wir – Carlos und ich – dass daraufhin Fragen aus dem Publikum kommen, da man doch gerade aus der Persiflage erkennen konnte, wie schwierig das Finden von Liebe, Zärtlichkeit, Partnerschaft ist – na klar – auch von Sex, für einen eigentlich gesunden Mann, allerdings durch Unfall im Rollstuhl lebend.

Wenn man bedenkt, dass Partnersuche für „Normalos“ fast nur noch über die vielen Internetvermittlungen und sogenannte Datingforen funktionieren (es werden ja immer mehr und mehr…). Vergessen Sie auch nicht, dass in Deutschland jede 2. Ehe in Großstädten geschieden wird, und sonst ca. jede 3. Ehe. Spanien ist da übrigens bereits ebenfalls auf diesem Weg. Das geht sehr oft schneller als man glauben  möchte. Beim Anstieg der Alterspyramide ist zu erwarten, dass gerade durch Krankheit im Alter viel mehr Menschen ( z. B. waren es 2015 7,6 Millionen) alleine n u r im Rollstuhl landen werden.

Interessierte Fragen von aufgeschlossenen, erwachsenen Menschen hätten wir erwartet: Wie kann man einen Partner/in finden? Gibt es evtl. ganz eigene sexuelle Dienste? Oder gibt es vielleicht auch – wie eben wieder für Normalos „Kuschel- und Streichelkurse“ oder ähnliches? Wie ist das überhaupt mit Hilfsorganisationen bei alleinstehenden Rolli-fahrern? Wie erfährt man eventuell ob und welche Cafés, Restaurants, Theater, Hotels usw., und alles was zu einem bequemeren, guten, unkomplizierten Leben gehört, „barrierefrei“ ist? Wie findet man – selbstständig (!) – Hilfe, Kontakte, oder auch nur Rollstuhlgerechte Garderobe… und vieles mehr? Wo gibt es überhaupt vorurteilsfreie Menschen mit denen man sich über alles ganz normal, vielleicht auch mit Humor unterhalten kann, bei einem Glas Wein? Ja, natürlich auch mal über Sex reden… wie alle das tun! Überall in den Medien, der Presse, Fernsehen, Internet, Bücher, Kino, Theater etc. stört das niemand!

(Die Persiflage war bereits in der CBN abgedruckt und es gab kein Erdbeben, keine Revolte oder irgend jemand der in Ohnmacht fiel vor Entsetzen…!)

Aber wenn ein Rollstuhlfahrer seinen (berechtigten !) Frust tatsächlich rauslässt, LIVE in einer ironischen Persiflage, gibt es plötzlich einen furchtbar empörten Aufschrei des Entsetzens !??? Ich hätte etwas mehr Empathie, Toleranz und freundliche Geduld erwartet.

In meiner Begrüßung erwähnte ich die Empathie, genau so wie die gerngesehen Fragen, die natürlich auch gelten wenn jemand etwas nicht versteht, weil der Satz in Englisch war – der Mann arbeitete 25 Jahre für die UN in vielen Ländern wo nur englisch gesprochen wurde…

Natürlich war dann “der Wurm” drin, und jeder Auftretende wäre verunsichert gewesen, durch die total unnötige, gereizte Reaktion. Ein wenig genaueres Hinhören hätte genügt!

Und der Kommentar von Carlos?: „Das erinnert mich an die Frau, die sagte, dieses ewige Gerede um Sex geht mir so auf die Nerven – wenn ich nicht selbst dabei bin…“

 

Mit herzlichen Grüßen und auf ein Neues, denn ich freue mich doch wenn Sie Wiederkommen und sprechen sie mit mir, denn nur ich als Organisatorin kann Ihre Kritik berücksichtigen, und evtl. etwas verändern.

Ihr Natascha

PS: Ich werde mich jeder Zeit und gerne mit konstruktiver Kritik auseinandersetzen, allerdings Hintenrum-Kritisiererei betrachte ich als unwichtiges Geschwätz.

Persiflage aus www.wikipedia.de :

Eine Persiflage [pɛʁsiˈflaːʒ] (von französisch persifler [pɛʀsiˈfle], „verspotten, lächerlich machen“) ist eine geistreiche, nachahmende und oft auch kritische Verspottung eines Genres, eines künstlerischen Werks oder einer bestimmten Geisteshaltung allgemein.Verwendung findet der Begriff hauptsächlich in der darstellenden und bildenden Kunst, speziell in der Literatur und im Journalismus.

Die Form der Persiflage lässt sich gut mit den rhetorischen Strategien von Satire vergleichen, insbesondere mit den Stilmitteln der Übertreibung und Überzeichnung. Hier geht es also nicht um eine inhaltliche oder stilistische Transformation wie bei Parodie oder Travestie, sondern die geistreiche satirische Verzerrung von Inhalten, Themen oder Motiven steht im Vordergrund. Bei der Persiflage stehen eher die gleichen Inhalte mit kritischen Untertönen zur gewitzten und geistvollen Verspottung an.